PerspektivenwechselWitzenhausen und sein koloniales Erbe
Heute studieren hier junge Leute aus aller Welt am Fachbereich 11 der Uni Kassel Ökologische Agrarwissenschaften.
Einige von ihnen haben sich mit der Vergangenheit ihrer Schule beschäftigt - und wollen darüber ins Gespräch kommen.
Witzenhausen erzählt Geschichte(n)
Geschichte
Aus der Hausordnung der Kolonialschule
Gründung 1898"Hurra, die Kolonialschule ist da!"
Der evangelische Pfarrer und Schuldirektor Ernst Albert Fabarius wollte „Kulturpioniere“ ausbilden - mit militärischer Disziplin und einem strengen Stundenplan.
Er umfasste:
Stalldienst, Gartenbau, Viehzucht, Geländevermessung, Handwerk, Reiten, Chemie, Volkswirtschaft, Kulturwissenschaften, Völker- und Rassekunde, Fremdsprachen: Englisch, Französisch, Portugiesisch, Kisuaheli, Hausa und Malayisch
Brief eines Schülers aus Deutsch-Südwestafrika
Von Witzenhausen in die Welt
In Briefen berichten sie ihrem Schuldirektor, Ernst Albert Fabarius, von ihrem Alltag als Siedler, von Überfahrt und Ankunft in dem damaligen "Deutsch-Südwestafrika", heute Namibia.
Im Gepäck hatten sie nicht nur praktisches Farmerwissen, sondern auch den imperialen Zeitgeist und rassistische Herrenmenschen-Ideologie ...
Historiker Karsten Linne und Auszug aus einem Brief eines ehemaligen Schülers
Krieg gegen Herero und Nama 1904-1908 Vom Siedler zum Soldaten
Auch ehemalige Schüler aus Witzenhausen waren an diesem Krieg beteiligt, weiß der Historiker Karsten Linne.
Erinnerungen an diese dunklen Seiten der deutschen Kolonialzeit finden sich auch im Museum Witzenhausen.
Fabarius
Wissenschaftler oder Kolonialverbrecher?Ernst Albert Fabarius
Er war evangelischer Divisionspfarrer, Direktor der Deutschen Kolonialschule und gilt als Begründer der deutschen Kolonialpädagogik.
Fabarius war aber auch politisch aktiv, war Gründer und Vorsitzender der Ortsgruppe der rechtsradikalen Deutschen Vaterlandspartei (DVLP).
Er war Kolonialwissenschaftler, Rasseforscher, Antisemit, Pädagoge.
Gehört er für sein Lebenswerk auf einen Sockel?
Postkolonialer StadtrundgangKritischer Blick aufs Erbe
Mit ihrer Initiative „witzenhausen postkolonial“ und einem kritischen Stadtrundgang machen sie die koloniale Vergangenheit auf dem Uni-Campus zum Thema.
Johnny Ibraimo
Johnny Ibraimo über Wissensvermittlung
Johnny Ibraimo Mit Geschichte konfrontieren
Er würde sich gerne mehr mit den internationalen Student*innen und Besucher*innen zur Kolonialgeschichte austauschen.
Er vermisst auf dem Gelände beispielsweise Hinweistafeln, Anknüpfungspunkte für ein Gespräch.
Hanna Schwager
Hanna Schwager über die Fabarius-Büste
Hanna Schwager Runter vom Sockel?
Sie wünscht sich, dass der Innenhof rund um seine Büste zum Erinnerungsort wird, wo unterschiedliche Perspektiven sichtbar werden - auch die der Opfer.
Sie kritisiert den Personenkult um Fabarius - z.B. die nach ihm benannte Straße.
Miry
Mariama SchneiderGegen alle Klischees
Heute arbeitet sie als Beraterin für internationale landwirtschaftliche Entwicklungsprojekte.
Ihr Atelier hat sie mitten in der Altstadt von Witzenhausen.
Jeden Morgen trinkt sie einen Kaffee - und der hat eine eigene Geschichte ...
Miry über Kaffee (gelesen von Luna Vega)
Nescafé oder Kaffee?
Mike
Mike Mischkowsky über seine Studienzeit
Mike Mischkowsky"Kolonialgeschichte war kein Thema"
Er hat viele Jahre im Maghreb und in Kamerun gelebt und gearbeitet und dort Entwicklungshilfeprojekte in der Tierzucht und im Landbau betreut.
Als Student hat er nicht viel von der kolonialen Vergangenheit seiner Ausbildungsstätte erfahren. Heute sieht er das kritisch.
Ein Geschenk aus Kamerun - oder Raubkunst?
Das Museum
Aus einer Inventarliste
Das Museum
Dafür schickten die Schüler stolz ihre Fundstücke - Objekte aller Art - oft ohne nähere Beschreibung und notdürftig verpackt auf dem Seeweg nach Witzenhausen.
Rückgabe an die Nama Kriegsbeute oder Forschungsgegenstand?
Eine Restitutions-Recherche ergab, dass es sich dabei um den Schädel einer Nama-Frau handelte.
Er wurde 2018 vom Deutschen Institut für tropische und subtropische Landwirtschaft GmbH, dem rechtlichen Nachfolger der ehemaligen Kolonialschule, an eine Delegation der Nama übergeben.
Ein Stück Tropen in Witzenhausen
Hier wurden seit den 1950er Jahren Experten für die Entwicklungszusammenarbeit ausgebildet.
Die Sammlung dient noch heute Lehrzwecken am Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften der Uni Kassel.
Martin
Martin Nadarzinski über komplizierte Recherchen
Martin Nadarzinski "Secret or sacred?"
Er versucht die genauere Herkunft herauszufinden von Objekten, die aus den damaligen Kolonien nach Witzenhausen geschickt wurden.
Dazu stellt er Bilder der Exponate auf eine Webseite und hofft - nach 120 Jahren - auf Antworten. Ein schwieriger Job.
Roberto
Roberto Keller über seine Begegnung mit dem Fremden
Roberto Keller "Sehnsucht, Selbtserkenntnis, Weltrettung"
Seine Tätigkeit dort hat den Witzenhäuser nachdenklich gemacht.
Was hat ihn eigentlich ins "gelobte Asien" gelockt?
Bernd
Bernd BraedtUnterwegs auf vier Kontinenten
Als Senior hat er jetzt Zeit, sich mit der Geschichte seiner ehemaligen Schule zu befassen.
Eine kleine Kuh erinnert ihn an ein Abenteuer in Afghanistan...
Ein Souvenir aus Afghanistan
Sinini
Sinini Ngwenya über eine Erkenntnis aus dem Workshop
Sinini Ngwenya "Die Deutschen kämpfen auch mit ihrer Geschichte"
Für die Workshops "Witzenhausen erzählt Geschichte(n)" hat er mit seiner Frau Pamela einen Videoworkshop betreut.
Dabei hat er festgestellt: Die Aufarbeitung des Kolonialismus ist nicht nur ein Thema in Afrika.
Pamela
Pamela Ngwenya über ihre "Learning journey"
Pamela Ngwenya "Berührende und verstörende Momente"
Für das Projekt „Witzenhausen erzählt Geschichte(n)“ hat sie einen Videoworkshop angeboten, mit einer Methode, die sie mit Menschen bei ihren landwirtschaftlichen Forschungsprojekten einsetzt.
Sie hat das Institut dabei ganz neu kennengelernt.
Das Projekt
Das Projekt"Perspektiven wechseln. Witzenhausen erzählt Geschichte(n)"
Ein Ergebnis aus den Workshops ist diese Online-Reportage, die zur Auseinandersetzung mit dem Thema „Deutsche Kolonialgeschichte“ in und außerhalb Witzenhausens anregen soll; ein weiteres ist die 50 minütige Radiosendung/Podcast „Perspektivenwechsel – Witzenhausen und sein koloniales Erbe“ mit vielen Stimmen der Teilnehmer*innen und Ausschnitten aus den Workshops.
„Perspektiven wechseln. Witzenhausen erzählt Geschichte(n)“ ist ein Projekt von hr2-kultur in Kooperation mit der Stadt Witzenhausen, der Universität Kassel, dem Institut für Tropische und subtropische Landwirtschaft GmbH, dem Hochschulverband Witzenhausen e.V. , der Initiative „Witzenhausen Postkolonial“ und dem Arbeitskreis Eine Welt e.V. Es wird im Rahmen von „Literaturland Hessen: Raus aufs Land“ vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst gefördert.
Mehr über die Kolonialgeschichte von Witzenhausen erzählt das Feature "Von Hessen nach Deutsch-Afrika".
Anna Siekmann
Anna Siekmann über ihr Verhältnis zum Kolonialismus
Anna SiekmannPionierin im Weltladen
Sie beschäftigt sich mit den Auswirkungen auf die globalen Handelstrukturen und die Verteilungsungerechtigkeit heute.
Danke
Fotografie: Anja Jahn Sprecher*innen: Christoph Scheffer, Jan Tussing, Luna Vega
Synchro: Julika Tillmanns, Niklas Vogel
Grafik: Kerstin Henninger
Redaktion: Christiane Kreiner
Pageflow: Alexandra Müller-Schmieg
Projektleitung: Christiane Kreiner, Karoline Sinur
Fotocredits:
Anja Jahn / Johnny Ibraimo / Stadtarchiv Witzenhausen / dpa-Picture Allianz / germanpostalhistory
Historische Quellen / Recherche: Bibliothek/Archiv des Deutschen Instituts für Tropische und Subtropische Landwirtschaft